Meinung
21.09.2016

Berlinwahl auch Denkzettel für missglückte Infrastrukturpolitik

Illustration: Roland Brückner | bitteschoen.tv

Regierung sollte Taskforce zur Beseitigung der Engpässe aufstellen. Ein Interview mit Jobst Fiedler.

Die rot-schwarze Regierungskoalition hat in Berlin massiv verloren. Spiegelt dieses Wahlergebnis die Probleme der Berliner Verwaltung bei BER, Staatsoper und Co wider?

Infrastruktur und Verwaltungskapazitäten hängen eng zusammen. Wenn die Leistung der Verwaltung unter ein bestimmtes Niveau fällt, beeinflusst das durchaus die Wählerentscheidung, das sehen wir jetzt in Berlin. Auf wachsenden Missmut folgte die Bestrafung der Verantwortlichen an der Urne. Ein Verlust von über 10 Prozent für die bisherige Koalition, das sagt schon etwas aus: Von den überlasteten Bürgerämtern über die Planungsschwächen in der Infrastruktur bis zum Geld für Schulrenovierungen, das eigentlich da ist, aber nicht ausgegeben wird – die Bürger wollen das offensichtlich nicht mehr akzeptieren.

In Berlin ist alles zu langsam. Das Fehlen von Schlüsselpersonal durch zu lange Sparpolitik tut besonders weh. Die entsprechenden Vorkehrungen, wie man die gleiche Leistung mit weniger Personal schafft, wurden nicht getroffen. Da waren Engpässe vorprogrammiert, man hätte vor drei bis vier Jahren gegensteuern müssen. Die Herausforderung ist heute umso größer, weil wir es mit einer wachsenden Stadt zu tun haben.

Was erwarten sie von Michael Müller in der nächsten Amtszeit als Bürgermeister erwarten?

Michael Müller sollte eine „Bottlenecks Taskforce“ zusammenstellen, die sich um die entscheidenden Engpässe kümmert. Die Gruppe sollte mit internen und externen Experten besetzt sein: Interne Kenner der Verwaltung, Wirtschaftsvertreter inklusive Start-ups und ausgewählte Berater. Dieser Gruppe muss volle Transparenz gewährt werden, sie sollte dann die entscheidenden Engpässe identifizieren, analysieren und Vorschläge zu deren Überwindung machen. Diese Vorschläge gehen dann an den neuen Senat und das neue Parlament. Sechs Wochen reichen dafür aus: 14 Tage zur Recherche der Fakten, 14 Tage für die Diskussion, und 14 Tage für die Setzung der Prioritäten. Wichtig ist, dass den Politikern eine lösungsorientierte Vorlage geliefert wird. Schauen wir uns das Radwegekonzept an, für das die Grünen erheblich Druck machen werden, wenn sie Koalitionspartner sind: Die Bürger werden nicht bereit sein, jahrelang auf dessen Planung zu warten. Es muss sofort auch auf die Umsetzung gezielt und alle vier Wochen nachgefasst werden, ob etwas vorwärts geht.

Berlins Infrastruktur muss verbessert werden– wo liegen die Herausforderungen, und welche Projekte stehen für die neue Landesregierung an?

Investitionen in die öffentliche Infrastruktur sind in den nächsten vier Jahren sicherlich als die große Aufgabe zu sehen. Erstens gibt es großen Nachholbedarf bei der Instandsetzung von Schulen, Straßen, Brücken und öffentlichen Räumen. Hier sehen wir uns den Altlasten aus 20 Jahren Sparpolitik mit einer unzureichenden Investitionstätigkeit in der öffentlichen Infrastruktur gegenüber. Dieser Nachholbedarf besteht in allererster Linie bei hunderten von Schulen, wo Schüler und Eltern verzweifelt auf die Ausführung notwendiger Instandsetzungs- und Sanierungsarbeiten warten. Der hierfür von den Berliner Bezirken errechnete Aufwand liegt bei insgesamt 2 Milliarden Euro, aber die Finanzverwaltung der Stadt stellt die Höhe dieser Summe in Zweifel.

Zweitens muss Berlin neben diesen Altlasten auch die Herausforderungen durch das schnelle Wachstum der Stadt bewältigen. Berlin zieht jedes Jahr etwa 40.000 neue Einwohner an – ein Trend, der vermutlich noch einige Zeit anhalten wird. Mehr Wohnungen müssen gebaut werden, einige davon auf nicht genutzten Bahngrundstücken oder auf der großen Fläche, die frei werden wird, wenn der Flughafen in Tegel schließlich geschlossen wird. Darüber hinaus ist die Erschließung neuer Wohnviertel am Rande Berlins erforderlich, wo dann auch Schulen, Vorschuleinrichtungen, Kindergärten und Verkehrsanbindungen geschaffen werden müssen. Das Verkehrsaufkommen wird weiter steigen und muss von der Straße weg gelenkt werden, um Staus einzudämmen und eine steigende Umweltverschmutzung zu verhindern. Das heißt, das öffentliche Verkehrsnetz muss ausgebaut und ergänzt werden, und die Nutzung von Fahrrädern muss in sehr viel konsequenterer Weise erleichtert und unterstützt werden. Es muss ein umfassendes Netz von Fahrradwegen wie in Kopenhagen entstehen, wie dies auch von den Interessengruppen vorgeschlagen wurde, die ein Referendum hierzu vorbereiten.

Am Flughafen BER und am alten Flughafen Schönefeld werden bald doppelt so viele Passagiere abgefertigt werden müssen wie vor zehn Jahren geplant. Ohne effizientere öffentliche Verkehrsmittel werden tägliche Staus die Attraktivität des neuen Flughafens von seinem verspäteten Start an untergraben.

In vielen Bereichen hat die Regierung bereits die Probleme identifiziert , die behoben werden müssen. Mit den Maßnahmen aber hapert es . Wie schafft man es, dass Pläne auch umgesetzt werden?

Aus gutem Grund hat der Berliner Senat schon Ende 2014 sehr viel mehr Ressourcen für die Finanzierung von Instandsetzungsmaßnahmen und neuen öffentlichen Infrastrukturprojekten bereitgestellt. Aufgrund der positiven Einnahmenentwicklung der Stadt, die seit 2014 zu hohen Haushaltsüberschüssen geführt hat, konnte ein mehrjähriges Investitionsprogramm für die öffentliche Infrastruktur aufgeleget werden. Ein großer Teil der erwarteten Überschüsse wird einem Fonds namens SIWA zufließen, dessen Aufgabe es ist, den Rückstand bei Instandsetzungsmaßnahmen und den Ausbau der Infrastruktur der wachsenden Stadt zu finanzieren. Diese Kehrtwende ist sicherlich ein wichtiger Schritt auf dem Weg, den der Senat auch konsequent fortgeführt hat, indem er dem Fonds seit dessen Gründung jährlich einige hundert Millionen Euro zugeführt hat. Es ist zu hoffen, dass die positive wirtschaftliche und finanzielle Entwicklung für einige Zeit anhält, so dass dieser Investmentfonds weiter wachsen kann. Die nächste Regierung der Stadt wird hieran arbeiten müssen.

Die Wirkungen dieser Maßnahmen sind allerdings für die Bürger bislang nicht spürbar, weil die SIWA-Mittel viele Projekte an der Spitze der Prioritätenliste noch nicht erreicht haben. Für die zahlreichen geplanten Instandsetzungsmaßnahmen und Neubauprojekte müssen Planungs- und Ausschreibungsprozesse durchlaufen und Baugenehmigungen erteilt werden. Nun wird deutlich, dass auf der zentralen wie auf der lokalen Verwaltungsebene Kapazitätsengpässe bestehen. Auch hier zahlt Berlin heute den Preis für die Jahre der Sparpolitik, in denen kein Personal eingestellt und insbesondere auf der lokalen Ebene Stellen gestrichen wurden. Die Regierung muss nun gerade in den Bereichen, in denen am meisten Handlungsbedarf besteht, mit den Herausforderungen einer alternden und unterbesetzten Verwaltung umgehen. Jetzt werden neue Stellen geschaffen, und man hat mit der Einstellung neuer Mitarbeiter begonnen. Aber es wird einige Zeit dauern, die neuen Mitarbeiter zu finden und entsprechend auszubilden, damit sie die großen Aufgaben übernehmen können, für die nun Geld bereit steht.

Wie wird sich die Erfahrung des BER auf künftige Infrastrukturplanungen und –entscheidungen auswirken?

Aus der äußerst negativen Erfahrung des BER-Projekts, die bis heute andauert, lassen sich viele Lehren für die Steuerung und Abwicklung großer öffentlicher Infrastrukturprojekte ableiten. Eine jüngst veröffentlichte Studie der Hertie School analysiert den Fall BER sowie andere öffentliche Großprojekte und stellen Lösungen vor.

Die Steuerung und Abwicklung des BER-Projektes wies vielfältige Mängel auf – was letztlich in einem Teufelskreis von Folgefehlern mündete. Durch diese Fehler kommt es zu Mehrkosten in Milliardenhöhe, und die Eröffnung des Flughafens wird mindestens sechs Jahre später als geplant stattfinden. Aufsichtsbehörden, denen die notwendige Sachkompetenz fehlte, übertriebener Optimismus und unzureichende Risikoanalysen waren die wesentlichen Faktoren dafür, dass dieses Projekt von Beginn an mängelbehaftet war.

Es ist dringend notwendig, die Erfahrungen aus Projekten, bei denen der Budget- und Zeitrahmen weit überschritten wurde, auszuwerten. Dies kann zur Verbesserung der Planung und Durchführung von öffentlichen Infrastrukturprojekten in Berlin während der nächsten vier Jahre genutzt werden. Der neue Senat muss diese Erfahrungen nutzen, um bessere Risikoanalysen zu erstellen und das Projektmanagement zu optimieren. Dennoch treten auch hier die Wirkungen der Vergangenheit noch zutage. Übertriebener Optimismus, kostspielige Extrawünsche und unzureichende vorherige Risikoanalysen werden höchst wahrscheinlich zu einer Verdoppelung der Kosten für die Wiederherstellung der Staatsoper Unter den Lindenvon geplanten 200 Millionen auf 400 Millionen Euro führen. Schlüsselprojekte wie der Bau dieser Oper oder des BER stellen im Hinblick auf ihre technische Komplexität und Größe eine besondere Herausforderung dar, und es wird noch eine Zeit vergehen bevor die Berliner Verwaltung sich erneut ähnlichen Herausforderungen gegenüber sehen wird.

Über den Autor

  • Jobst Fiedler, Professor Emeritus of Public and Financial Management