Meinung
05.06.2018

Ein Weckruf

Die Digitalisierung der öffentlichen Verwaltung ist zweifellos das große Thema der Stunde, das auch in der Politik voll angekommen ist, und der Modernisierung des Sektors neue Energie verleiht. Gleichzeitig besteht die Gefahr, dass der Hype um die Digitalisierung grundlegende, eigentlich wichtigere oder genauso brennende Reformthemen in den Schatten stellt.

Auch in Zukunft wird die Kompetenz, Leistungsfähigkeit und Motivation des Personals die entscheidende Ressource des öffentlichen Dienstes sein, sodass der Attraktivität der Verwaltung als Arbeitgeber und der Personalgewinnung eine entscheidende Rolle zukommt. Unsere deutschlandweite Behördenbefragung „Zukunftspanel Staat & Verwaltung“ bestätigt den starken und kontinuierlichen Bedeutungsanstieg dieser Herausforderung über die letzten Jahre. Gerade auch Probleme bei der Gewinnung von IT-Fachkräften werden als wesentliche Ursache für die nur schleppend voranschreitende Digitalisierung gesehen.

Während die Herausforderung in der Vergangenheit vor allem in Spezialbereichen wie IT sowie auf der kommunalen Ebene beziehungsweise in schlechter bezahlenden Bundesländern bemerkbar war, steigt mittlerweile auch die Zahl der unbesetzten Stellen im öffentlichen Dienst des Bundes. Im Jahr 2017 waren es 37 000. Angesichts der Altersstruktur wird der Druck noch weiter steigen: Von den 4,5 Millionen Beschäftigten werden nach dem aktuellsten Personalbericht der Destatis knapp über 1,2 Millionen beziehungsweise fast 27 Prozent in den nächsten zehn Jahren altersbedingt ausscheiden.

Angesichts der Lage müsste eigentlich ein Beben den Sektor erschüttern und grundlegende Veränderungen einleiten. Primär anzusetzen ist an den Erwartungen junger Menschen an die Arbeitswelt, die sich eine interessante Tätigkeit, sinnbringende Arbeit und einen positiven Beitrag für die Gesellschaft wünschen. Der öffentliche Dienst wäre eigentlich sehr gut positioniert, kann dieses Potenzial aber nur unzureichend nutzen.

Junge Menschen erwarten weniger Hierarchie

Zu oft beobachte ich, dass junge gemeinwohlorientierte Menschen lieber in schlecht bezahlten, unsicheren Jobs in NGOs und sozialen Start-ups arbeiten als sich für den öffentlichen Dienst zu entscheiden. Neben überzeugenden Argumenten muss auch intern etwas passieren. Die „Generation Y“ erwartet weniger Hierarchie, Mitgestaltungsmöglichkeiten, eine partizipative Führungs- und Feedbackkultur, abwechslungsreiche Tätigkeiten in interdisziplinären Teams, digitale Arbeitsplätze, Diversität, flexible Arbeitszeitgestaltung sowie mehr Interaktion mit Bürgern und anderen Organisationen. Unser Zukunftspanel zeigt, dass die Behörden auf diese Anforderungen bisher nur sehr zögerlich reagieren.

Ein Bereich, in dem die öffentliche Verwaltung viel von der Privatwirtschaft lernen kann, ist die Priorisierung von Talent-Management, aber auch die Entwicklung proaktiver Rekrutierungs-Strategien. Aufbauend auf klaren Bedarfsprognosen gilt es, leistungs-und potenzialstarke Mitarbeiter zu identifizieren, zu fördern und zu binden. Wünschenswert wären neue Karrieremöglichkeiten und -modelle, zum Beispiel nach dem Vorbild des erfolgreichen Fast-Stream-Programms in Großbritannien, für das sich jährlich an die 21 000 Universitätsabsolventen bewerben. Im Rahmen eines hochkompetitiven und intensiven Auswahlprozesses ermöglicht es eine beschleunigte Übernahme von Führungsaufgaben mit begleitender Personalentwicklung.

Dienstrechtsthemen dürfen kein Tabu sein

Auch grundsätzliche Themen des Dienstrechts dürfen nicht ausgeklammert werden wie etwa der erleichterte Wechsel von Führungskräften und erfahrenen Experten aus der Privatwirtschaft in die öffentliche Verwaltung oder die Möglichkeit flexiblerer und kompetitiver Vergütung in Spezialbereichen.

Last, but not least, muss der Einstellungsprozess verbessert und beschleunigt werden. Wenn die durchschnittliche Dauer eines Einstellungsverfahrens zwischen sechs und zwölf Monaten liegt und Bewerber vielfach keine Rückmeldung erhalten, konterkariert das die Idee des attraktiven Arbeitgebers und der professionellen Personalgewinnung. Vor allem signalisiert es den Kandidaten fehlende Wertschätzung und hat oft zur Folge, dass die besten sich für andere Arbeitgeber entscheiden.

Die Dauer des Einstellungsprozesses sollte eine zentrale Kennzahl nicht nur für Personalabteilungen, sondern auch für die oberste Führung sein. Generell müssen Personalabteilung und Leitung eng zusammenarbeiten, um angesichts der skizzierten Herausforderungen auch zukünftig die Handlungs- und Gestaltungsfähigkeit des öffentlichen Dienstes in Deutschland zu sichern.

Dieser Artikel wurde im dbb magazin (Ausgabe Juni 2018) veröffentlicht.

Mehr über Gerhard Hammerschmid

  • Gerhard Hammerschmid, Professor of Public and Financial Management | Director, Centre for Digital Governance