Meinung
19.01.2017

Hart, härter, Brexit

Illustration: Roland Brückner | bitteschoen.tv

Britische Europafreunde können nur noch auf eins setzen, sagen Mark Dawson and Pierre Thielbörger.

Die britische Premierministerin will den härtesten EU-Austritt, obwohl es nur eine knappe Brexit-Mehrheit gab. Britische Europafreunde können nur noch auf eins setzen.

Vor einem Jahr las man oft, dass das Brexit-Referendum eigentlich gar nicht viel ändern werde. Wenn die Briten sich für den Verbleib in der EU entscheiden würden, so blieben sie doch nur halbherzig Mitglied der europäischen Familie. Sollten sie sich hingegen für den Austritt entscheiden, so würden sie der EU doch wohl trotzdem teilweise erhalten bleiben. Sogar Nigel Farage, der Anführer der Brexit-Kampagne, bekräftigte immer wieder, dass das Vereinigte Königreich in jedem Fall ein enger Handelspartner der EU bleiben werde, aller Wahrscheinlichkeit nach unter Verbleib im Europäischen Binnenmarkt.

Die Rede von Premierministerin Theresa May hat nun ultimativ klargemacht, dass Großbritannien auf den denkbar härtesten Brexit zusteuert. Die Briten bleiben nicht im europäischen Binnenmarkt. Sie werden auch die Zollunion verlassen. Es steht nicht einmal fest, ob London besonders enge Beziehungen mit den ehemaligen europäischen Partnern behalten wird. Stattdessen will die Premierministerin, wohl ermutigt durch die Lockrufe des zukünftigen US-Präsidenten Donald Trump, die Briten eher in eine pan-atlantische, populistische und nationalistische Richtung führen.

Was ist da innerhalb eines Jahres passiert? Man wird es wohl mit der Dynamik moderner Parteipolitik erklären müssen. Früher waren erfolgreiche Politiker diejenigen, die in der Lage waren, einen Mittelweg zwischen polarisierten Meinungen zu finden, sowohl in ihrer Partei als auch im Volk. Heute scheinen Politiker erfolgreich, wenn sie einfache Botschaften übermitteln, bestehende Ressentiments bedienen und Spaltung statt Einigung betreiben. Denn das gefällt der Basis am besten.

Im Falle Großbritanniens wurde die knappe Mehrheit von 52 Prozent, die im Juni 2016 für den Brexit gestimmt hat, völlig anders behandelt als es noch vor 20 Jahren der Fall gewesen wäre. Früher hätten Politiker das gespaltene Land zu einen gesucht. Heute fühlt sich die noch so knappe Mehrheit bestärkt in ihrer Position, radikalisiert sich weiter und vertritt noch extremere Positionen als noch vor dem Referendum angekündigt.

Das Argument, man habe durch das Referendum ein “demokratisches Mandat” erhalten, das May zum Einstieg ihrer Rede anführte, wird genutzt, um alle kaltzustellen, die sich für eine pragmatische Kooperation mit der EU aussprechen. Sie werden schlichtweg als Feinde des Volkswillens verschrien, egal, ob sie Richter sind, die eine parlamentarische Kontrolle der Verhandlungen verlangen, oder moderate Politiker wie bis vor kurzem Schatzkanzler Philipp Hammond, der sich offen um den Zugang zum Binnenmarkt sorgte.

Dass es so weit kommen konnte, liegt auch am britischen Wahlsystem. Theresa May sieht sich gegenwärtig im Parlament wegen des Mehrheitswahlrechts einer besonders schwachen Labour-Partei gegenüber. Strategisch muss sie sich vor den extremen ‘Brexiteers’ in ihrer Partei mehr fürchten als vor der sozialdemokratischen Opposition. Folgerichtig bedient sie die Forderungen der Extremen ihrer Partei – und ignoriert alle kritischen Stimmen.

Vermittelnde Stimmen sind zum Schweigen gebracht. Die Sternstunde der Brexit-Fraktion innerhalb der Tories war wohl letzte Woche gekommen, als Hammond, der bis zuletzt ein Hoffnungsträger des EU-freundlichen Flügels der Partei war, selbst die Hoffnung auf den Verbleib im europäischen Binnenmarkt aufgab. Stattdessen schlägt er nun vor, das britische Wirtschafts- und Steuersystem radikal zu verändern und Großbritannien zu einer Steueroase zu machen. Die letzten europafreundlichen Stimmen werden nunmehr als Bedrohung dargestellt – eine Strategie, die die Premierministerin in ihrer Rede noch einmal unterstrichen hat.

Während wir die letzten sechs Monate darauf gewartet haben, dass die Brexit-Verhandlungen endlich beginnen, sind sie nun faktisch gescheitert, bevor sie überhaupt begonnen haben. Beide Seiten haben Positionen bezogen, welche die jeweils andere Seite nicht akzeptieren kann. Die britische Regierung will alle Fesseln der EU abschütteln und ein Freihandelsabkommen mit den ehemaligen Partnern abschließen. Bundeskanzlerin Angela Merkel dagegen hat die Parole ausgegeben, dass es für Großbritannien diesmal keinen Rabatt geben wird. Der Austritt soll das Vereinigte Königreich so schmerzen, dass kein anderes EU-Land auf die Idee kommt, dem Beispiel zu folgen.

Für die EU würde ein Scheitern der Verhandlungen und somit das ungeregelte Ausscheiden der Briten, bedeuten, dass sie dennoch ihr Hauptziel erreicht. Nämlich die Kohärenz des europäischen Projektes zu wahren und die Untrennbarkeit der europäischen Grundfreiheiten zu unterstreichen. Also kein Zugang zum Binnenmarkt ohne Personenfreizügigkeit, wie es sich wohl auch May zunächst vorgestellt hatte.

May würde in diesem Fall ebenfalls ihr wichtigstes Ziel erreichen: die Abschaffung der Arbeitnehmerfreizügigkeit für EU-Bürger – das Hauptmotiv der Brexit-Befürworter. Die Premierministerin hat getan, was man klugerweise in öffentlichen Ankündigungen tut: die Zielvorgaben so setzen, dass man nur gewinnen kann.

Die Europafreunde brauchen eine gemeinsame Strategie

Für britische Unterstützer der EU bleibt eigentlich nur ein Hoffnungsschimmer. Da das Brexit-Votum ja angeblich nur die Souveränität des britischen Parlaments gegenüber Brüssel wiederherstellen wollte und der Druck auch durch richterliche Entscheidung zu groß war, musste die Premierministerin ein entscheidendes Zugeständnis machen: Das Parlament darf über den ausgehandelten Austrittsvertrag abstimmen.

Bemerkenswert daran ist, dass das Parlament nicht nur über das Auslösen des Artikels 50 des EU-Vertrags entscheiden darf, also den Beginn der Austrittsverhandlungen, sondern erst am Schluss, wenn alles unter Dach und Fach ist. Sofern es schlussendlich überhaupt einen Ausstiegsvertrag geben sollte.

Die britischen Europafreunde sind nun gut beraten, über die nächsten ein bis zwei Jahre eine gemeinsame Strategie zu entwickeln – eine Strategie, die das völlige Zerwürfnis mit der EU verhindert, die gegen das Ergebnis der Verhandlung mobilisiert, und die die Premierministerin zwingt, frühzeitig neue Parlamentswahlen anzusetzen. Diese könnten ein neues “demokratisches Mandat” schaffen und damit der einzige Funken Hoffnung, dass das Vereinigte Königreich seinen Antieuropa-Kurs noch korrigiert.

Dieser Gastbeitrag erschien am 19.1.2017 in ZEIT Online.

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