Forschung
25.09.2015

Sechs Thesen zur Berliner Kulturpolitik

Was Berlin von den Handlungs- und Lösungsansätzen anderer Städte lernen kann, erklärt Helmut Anheier.

Berlin ist wieder im Kreis der Kunst- und Kulturmetropolen angekommen. Das macht die Hertie School-Studie Berliner Kulturpolitik in international vergleichender Perspektive deutlich. Darauf aufbauend hat Helmut K. Anheier sechs Thesen verfasst, was Berlin von den Handlungs- und Lösungsansätzen anderer Städte lernen kann.

Berlin ist wieder im Kreis der Kunst- und Kulturmetropolen angekommen. Das macht die vom Centre for Cultural Policy der Hertie School initiierte und begleitete Studie Berliner Kulturpolitik in international vergleichender Perspektive deutlich. Diese stellt erstmals die Kulturpolitik der Bundeshauptstadt den entsprechenden Ansätzen von London, Paris, New York und Toronto gegenüber. Die Studie identifiziert neben gemeinsamen Herausforderungen städtischer Kulturpolitik auch die Besonderheiten Berlins. So teilen die Metropolen die enge Verknüpfung zwischen Kulturpolitik und Stadt- und Wirtschaftsentwicklung, den Reformbedarf der Förderstrukturen sowie die Debatte um kultureller Teilhabe. Einzigartig für Berlin sind die starke Differenzierung zwischen Hochkultur und Freier Szene, das besondere Verhältnis zwischen Bund und Stadt sowie die im Vergleich wenig entwickelte Kooperation zwischen Kunstszene und Kreativwirtschaft. Was kann Berlin von den Handlungs- und Lösungsansätzen anderer Städte lernen?

These 1: Weniger Selbstlob, mehr Rückgrat

Der Hauptstadtkulturvertrag zwischen Bund und dem Land Berlin muss bis 2017 neu verhandelt werden. Berlin sollte selbstbewusst in diesen Verhandlungen auftreten, aber ohne die typische Begleitmusik in Form des übertriebenen Eigenlobs. Nur auf Augenhöhe können Verantwortlichkeiten geklärt und die Kulturförderung effektiv koordiniert werden.  Dafür bietet Berlins gewachsene kulturelle Infrastruktur eine stabile Grundlage und die wachsende Wirtschaftskraft der Stadt eine weitere: Zwischen 2005 und 2014 ist diese um fast 20 Prozent gestiegen, weit schneller als der Bundesdurchschnitt. Die Stadt steht also viel besser da als noch vor Jahren. Als gleichberechtigt auftretender Partner wird Berlin in der Lage sein, einseitige Maßnahmen abzuwehren (Museum der Moderne) und selbstbestimmter zu handeln, ohne kleinlaut auf den Geldsegen des Bundes hoffen zu müssen (Humboldt-Forum). In seiner Bewerbung für die Olympischen Spiele 2012 positionierte sich London selbstbewusst als „Creative City“ und setzte sein kulturelles Angebot gezielt als Wettbewerbsvorteil ein. Berlin kann von diesem Ansatz lernen.

These 2: Zweiklassensystem der Kulturförderung überwinden

95 Prozent der Berliner Kulturausgaben fließen in den Erhalt etablierter Einrichtungen der Hochkultur. Dieser Dominanz steht die Dynamik und Innovationskraft der Ausgegrenzten – der Freien Szene – gegenüber. Deren Förderung fällt selbst im neuen Kulturhaushalt relativ zu gering aus, obwohl der Etat insgesamt um fast ein Drittel steigt. Berlin macht die gezielte und nachhaltige Förderung der Hochkultur gut und richtig. Jedoch fehlt eine permanente Schnittstelle zur Freien Szene. Wenn Offenheit und Kooperation zwischen beiden durch kulturpolitische Maßnahmen systematisch angelegt würde, wären sie gleichsam zu mehr kreativem Austausch herausgefordert. Um das gegenwärtige System zu überwinden, müssen alle Interessensgruppen an einen Tisch gebracht werden. Ein zivilgesellschaftlich organisiertes Kulturforum mit eigenen finanziellen Mitteln wäre in der Lage, neue Impulse schneller aufzugreifen und Projekte flexibel zu fördern. Vorbild kann das Toronto Arts Council sein, das als unabhängige Organisation gemeinsam mit der Toronto Arts Foundation Künstler und Kunstorganisationen unterstützt und finanziert.

These 3: Mobilität fördern und kultureller Verarmung der Bezirke entgegenwirken

Berlins Wiederaufstieg zur Kulturmetropole nach dem Fall der Mauer war untrennbar mit der Verfügbarkeit von günstigem Wohn- und Arbeitsraum verbunden. Experten fürchten, dass steigende Mietpreise und die damit verbundenen Verdrängungsprozesse die Kulturszene Berlins schwächen werden. Vernachlässigt wird dabei, dass Städte im ständigen Wandel begriffen sind. Wir müssen von der Vorstellung abrücken, dass es möglich ist, geschützte Enklaven für Kunst und Kultur zu schaffen. Stattdessen muss die innerstädtische Mobilität der kulturellen Hotspots unterstützt werden. Auch der kulturellen Verarmung der Außenbezirke durch die Schließung von Bibliotheken und Kulturzentren kann so entgegengewirkt werden. Paris, New York und London fördern gezielt die Kulturinfrastrukturen in den Randbezirken, um die kulturelle Teilhabe ausgegrenzter Gruppen zu erleichtern und die Mobilität der Stadtbevölkerung besser zu steuern.

These 4: Verbindung zu Kreativwirtschaft und Wissenschaft stärken

Nicht nur wegen seines Kunst- und Kulturangebots, auch wegen  seiner Start-up-Szene gewinnt Berlin seit Jahren an internationalem Ansehen: Die Stadt steht für Innovationsvermögen, Erfindergeist und digitalen Wandel. Gleichzeitig wächst Berlin zu einem der leistungsstärksten Wissenschaftsstandorte Deutschlands heran.  Kunsthochschulen wie die Universität der Künste (UdK) könnten ein noch stärkerer Motor der Kreativwirtschaft sein. Dabei geht es nicht nur um die Ausbildung des Nachwuchses, sondern vor allem um verbesserten Austausch zwischen Kunst, Wissenschaft und Wirtschaft.  Entsprechende Strukturen müssten gezielter gefördert werden. Die International Summer School of Creative Entrepreneurship der UdK ist ein positives Beispiel für eine solche Verknüpfung, auch das Hasso-Plattner-Institut in Potsdam ist entsprechend aktiv. In London zeigte die Arbeit der Commission on Creative Industries bereits vor 15 Jahren, dass kulturelle Kreativität und wirtschaftliche Entwicklung Hand in Hand gehen.

These 5: Bessere Informationsbasis und strategische Planung

Kulturpolitische Maßnahmen brauchen eine verlässliche und umfassende Informationsbasis, um Strategien für Politik und ein entsprechendes Umfeld für Kulturschaffende zu gewährleisten. Berlin fehlt es an beidem: an verlässlichen Daten zu Kunst und Kultur in der Stadt, insbesondere was die Freie Szene und die Kreativwirtschaft betrifft, und an einem transparenten, zielgerichteten Kulturplan. Eine zu neue Informationsplattform könnte nicht nur die wichtigsten Daten zur Berliner Kulturszene sammeln, sondern auch aufdecken, was wir nicht wissen, aber wissen sollten. London, New York und Toronto haben in den vergangenen zehn Jahren gemeinsam mit verschiedenen Interessensgruppen entsprechende Informationsbasen geschaffen, die eine detaillierte Strategieplanung ermöglichten.

These 6: Soziales und ökonomisches Mitdenken

Prekäre Lebensumstände von Kulturschaffenden dürfen nicht als selbstverständlicher Teil des kulturellen Lebens der Stadt akzeptiert werden. Zum Umdenken in der Kulturpolitik gehört auch eine Reform der sozialen Rahmenbedingungen. Für viele Kulturschaffende ist die Künstlersozialkasse die einzige soziale Absicherung, jedoch sind Geringverdiener von ihr ausgeschlossen. Neue, flexible Lösungen sind gefragt. Wichtig ist dabei, dass die Dynamik der freien Kunstszene erhalten bleibt und keine parallele Subventionskultur zur institutionellen Förderung entsteht, aber dennoch eine angemessene Absicherung der Künstler gewährleistet wird. Ob London, Toronto, New York oder Paris – alle Städte suchen nach neuen, fortschrittlichen Geschäftsmodellen im Kulturbereich. Berlin kann auch hier seine Innovationskraft und gesellschaftliche Verantwortung nutzen, um Vorreiter dieser Bewegung zu werden: Wie kann eine soziale Mindestabsicherung mit besseren Verdienstmöglichkeiten für Kulturschaffende verbunden werden? Wie ließe sich kulturelles Unternehmertum fördern?

Diese sechs Thesen basieren auf der Studie Berliner Kulturpolitik in international vergleichender Perspektive, die auch zum kostenlosen Download bereit steht. Die Studie wurde am 24. September 2015 in Berlin vorgestellt.

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