Pressemitteilung
07.02.2023

Studie: Rund 700 Millionen Euro für den deutschen Kohleausstieg

Co-verfasste Studie des Centres for Sustainability der Hertie School ermittelt erstmals die Kosten der fünf bisherigen Stilllegungsauktionen. Letztere waren verhältnismäßig kostengünstig.

Berlin, 07. Februar 2023. Eine Studie der Energieökonomen Silvana Tiedemann (Centre for Sustainability, Hertie School) und Dr. Finn Müller-Hansen (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) ermittelt erstmals die Höhe der gewährten Unternehmensentschädigungen für die Stilllegung deutscher Steinkohlekraftwerke. Die Forschenden kommen zu dem Ergebnis, dass die ersten fünf Auktionsrunden mit einer Höhe von 700 Millionen Euro eine kostengünstige Alternative für den nationalen Kohleausstieg bieten und Verhandlungen überlegen sind. Doch die Auktionen könnten auch Nachteile haben.

Kernergebnisse

  • Die bisherigen Entschädigungszahlungen an Energieunternehmen für die Stilllegung von Kohlekraftwerken belasten den Bundeshaushalt dank Ausstiegsauktionen mit lediglich ca. 700 Millionen Euro. 
  • Durch Auktionen wurden 10 Gigawatt, also über 40% der deutschen Steinkohle- und kleinen Braunkohlekapazität, stillgelegt und dafür entschädigt. Auktionen könnten deshalb auch Deutschlands CO2-Emissionen insgesamt verringern.
  • In der Energiewende könnten Auktionen zukünftig häufiger zur Steuerung des Energiemix eines Landes eingesetzt werden, auch in europäischen Nachbarstaaten.
  • Die Forschenden sagen jedoch auch: Weil nach den Auktionen vor allem Kraftwerke einer älteren Generation mit höherer CO2-Emmission am Netz waren und während der Energiekrise die Erhöhung der Kohleverstromung notwendig war, könnte dies besonders schlimm fürs Klima gewesen sein.

Auktionen könnten günstigster Ausstiegsweg aus der Kohle sein

Eine Studie der Energieökonomen Silvana Tiedemann (Hertie School) und Finn Müller-Hansen (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change) in der Fachzeitschrift Energy Policy, hat erstmals die Höhe der Kosten von Kohleausstiegsauktionen für den Bundeshaushalt ermittelt. Demnach hat die Stilllegung der Kraftwerke mit einer Kapazität von insgesamt 10 Gigawatt (9 984 Megawatt) die deutsche Steuerzahlerin zwischen 627 und 729 Millionen Euro gekostet. Weil der genaue Wert von der Bundesregierung bisher nicht veröffentlicht wurde, lässt der Wert sich nur als Spannweite angeben. Die Forschenden sprechen deshalb von rund 700 Millionen Euro. 

Mit einer durchschnittlichen Vergütung von 68 Euro/Kilowatt liegen die Auktionsergebnisse damit deutlich unter dem maximal möglichen Gebot. Auch im Vergleich zu Entschädigungen, die Deutschland über den Verhandlungsweg erzielt hat, schneiden die Auktionen gut ab. Die Forschenden argumentieren deshalb, dass Auktionen dem Verhandlungsweg überlegen sind. 

Tiedemann und Müller-Hansen betonen die generell positive Klimawirkung der Ausstiegsauktionen, die über die Löschung von Emissionszertifikaten im europäischen Emissionshandel (ETS) sichergestellt werden soll. Eine grobe Schätzung der Forschenden kommt zu dem Schluss, dass zukünftig etwa 300 Millionen Tonnen CO2 eingespart werden könnten, wenn die Energiemenge der Kohlekraftwerke bis zu ihrem statistisch vorausgesagten Lebensende durch den derzeitigen deutschen Kraftwerkspark ersetzt würde. Das entspricht ca. fünf Prozent des verbleibenden Budgets gemäß Klimaschutzgesetz. Der zusätzliche CO2-Preis beträgt damit 2,4 ± 0,2/ Tonnen CO2, was im Vergleich zu derzeitigen Preisen der Emissionszertifikate von dem Wissenschaftsteam als ein geringer Aufschlag angesehen wird.

Erfolgsfaktoren unter der Lupe 

Zentral für den Erfolg der Auktionen war, dass während der ersten fünf Runden, d. h. vor der Energiekrise, die Marktbedingungen für Kohlekraftwerke eher schwierig und damit für Ausstiegsauktionen günstig waren. Außerdem wurden Maßnahmen zur Steigerung des Wettbewerbs eingeführt: So sind Ausgleichszahlungen nur für etwa die Hälfte der in Frage kommenden Kraftwerkskapazität vorgesehen und das mögliche Maximalgebot sinkt mit der Zeit, was einen Anreiz zur frühen Teilnahme bietet. 

Der Erfolg der Kohleausstiegsauktionen deutet den Forschenden zufolge darauf hin, dass Auktionen häufiger zur Steuerung des Energiemixes eines Landes angewendet werden könnten als bisher angenommen – nicht nur zur Förderung von erneuerbaren Energien, sondern eben auch zur Stilllegung nicht mehr benötigter Kohle- oder zukünftig auch Gaskraftwerke. Weil Deutschland Ausstiegsauktionen als erstes Land innerhalb der Europäischen Union erprobte, könnten die Erkenntnisse zudem als Praxisbeispiel für andere Staaten dienen.

Der Haken: In der Energiekrise produziert dieser Mechanismus mehr Emissionen

Während die bisherigen Kosten des Kohleausstiegs niedrig gehalten werden konnten, weisen Tiedemann und Müller-Hansen zudem auf einen problematischen Punkt hin: In den Auktionen standen auch sehr junge, effiziente Kraftwerke zu Gebot, während ältere am Netz blieben. Dadurch ist die Kohlenstoffintensität des verbleibenden Kraftwerksparks um zwei Prozent gestiegen. Wird nun – wie im letzten Jahr während der Krise geschehen – mehr Strom aus Kohle erzeugt, so steigen die Emissionen überproportional. 

Fast alle Mitgliedsstaaten der Europäischen Union haben nationale Ausstiegspfade für Kohlekraftwerke beschlossen. Als erstes EU-Land bestimmt Deutschland die Reihenfolge der Stilllegungen sowie die vom Steuerzahler gewährten Entschädigungen durch Ausstiegsauktionen an Unternehmen. Seit August 2020 lädt die Bundesnetzagentur Betreiber von Steinkohle- und kleinen Braunkohlekraftwerken dazu ein, Kraftwerke stillzulegen. In einer blinden Auktion geben Energieunternehmen ihren gewünschten Entschädigungsbetrag für ein Kraftwerk bzw. Kraftwerkspark an. Die Bundesnetzagentur evaluiert Kosten und Nutzen, indem sie Kraftwerke mit einem hohen CO2-Ausstoß zu möglichst niedrigen Kosten vom Netz nimmt. Wer am wenigsten Entschädigung pro Emission fordert, gewinnt die Auktion und bekommt eine Aufforderung zur Stilllegung.

Originalveröffentlichung
Auctions to phase out coal power: Lessons learned from Germany von Silvana Tiedemann (Centre for Sustainability, Hertie School) und Finn Müller-Hansen (Mercator Research Institute on Global Commons and Climate Change), erschienen in der Fachzeitschrift Energy Policy

Über die Hertie School
Die Hertie School in Berlin bereitet herausragend qualifizierte junge Menschen auf Führungsaufgaben im öffentlichen Bereich, in der Privatwirtschaft und der Zivilgesellschaft vor. Sie bietet Masterstudiengänge, Executive Education und Doktorandenprogramme an. Als universitäre Hochschule mit interdisziplinärer und praxisorientierter Lehre, hochklassiger Forschung und einem weltweiten Netzwerk setzt sich die Hertie School auch in der öffentlichen Debatte für „Good Governance“ und moderne Staatlichkeit ein. Die Hertie School wurde 2003 von der Gemeinnützigen Hertie-Stiftung gegründet und wird seither maßgeblich von ihr getragen. Sie ist staatlich anerkannt und vom Wissenschaftsrat akkreditiert. | www.hertie-school.org

Über das MCC
Das MCC erforscht und liefert lösungsorientierte Handlungsoptionen für Klimapolitik sowie generell für das Bewirtschaften der globalen Gemeinschaftsgüter – und damit für die Stärkung der vielfältigen Aspekte von menschlichem Wohlergehen. Unsere sieben Arbeitsgruppen forschen zu Themen wie Wirtschaftswachstum und -entwicklung, Ressourcen und Internationaler Handel, Städte und Infrastrukturen, Governance sowie wissenschaftliche Politikberatung. Das MCC ist eine gemeinsame Gründung der Stiftung Mercator und des Potsdam-Instituts für Klimafolgenforschung. | www.mcc-berlin.net

Pressekontakt
Alina Zurmühlen, Pressereferentin, Hertie School
+49 (0) 30 259 219 – 246
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