Forschung

Eine strukturelle Prognose für die Bundestagswahl 2017

Wenn der Wahltermin noch in weiter Ferne liegt, stellen Umfragen keine guten Prognosen dar. Zu wenige Wähler interessieren sich zu einem so frühen Zeitpunkt schon für die Wahl und zu viele Umstände können sich bis dahin noch ändern. Wir präsentieren eine alternative Prognose für die Bundestagswahl 2017, die fast vollständig auf Umfragedaten verzichtet und sich auf die Ergebnisse vorangegangener Landtags- und Bundestagswahlen stützt. Unsere Methode ermöglicht es, Erwartungwerte zum Abschneiden der Parteien unter durchschnittlichen Bedingungen zu ermitteln.

In den USA sind wissenschaftliche Wahlprognosen vor Präsidentschaftswahlen Standard und liefern häufig sehr präzise Voraussagen. Für Mehrparteiensysteme wie das deutsche ist es deutlich schwieriger, entsprechende Modelle zu entwickeln. In den USA muss nur der Stimmanteil des Amtsinhabers prognostiziert werden, der Stimmanteil des Herausforderers ergibt sich daraus. In Deutschland hingegen gilt es, den Stimmanteil für mehrere Parteien vorherzusagen. Auch ändern sich die Anzahl und das Profil der Parteien. Aktuell wird das Bild durch die AfD verändert, welche erstmals vor vier Jahren an einer Bundestagswahl teilnahm. Auch aufgrund dieser und anderer Schwierigkeiten fanden die Politikwissenschaftler Thomas Geschwend und Helmut Norpoth, die schon 2002 ein Prognosemodell für die Bundestagswahl  vorstellten, zunächst wenige Nachfolger. Erst seit der Bundestagswahl 2013 erproben Wissenschaftler in nennenswerter Zahl auch hierzulande Prognosemodelle. Unser Modell bedient sich der Tatsache, dass in Deutschland regelmäßige Landtagswahlen bundesweite Aufmerksamkeit auf sich ziehen und Gradmesser der Wählerunterstützung für die einzelnen Parteien nicht nur auf Landesebene, sondern auch auf Bundesebene sind. Das Ergebnis einer Partei bei einer Landtagswahl ist nämlich stark korreliert mit dem Abschneiden einer Partei bei der Bundestagswahl in dem jeweiligen Bundesland (Abbildung 1). Diese große Zahl an subnationalen Wahlen nutzen wir, um auf Basis eines statistischen Modells eine Prognose für die Bundestagswahl 2017 zu erstellen.

(Abbildung 1)

Das Modell beruht sowohl auf politischen und wirtschaftlichen Daten als auch auf Resultaten vorangegangener Landtagswahlen. Nachdem am 14. Mai in Nordrhein-Westfalen das letzte Mal vor der Bundestagswahl gewählt wurde, legen wir hiermit unsere finale Prognose vor:

Die CDU/CSU wird auch 2017 stärkste Kraft. Jedoch verliert sie im Vergleich zu 2013 mindestens 5 Prozentpunkte und kommt auf 35,1 Prozent. Die SPD kommt auf 26,1 Prozent der Stimmen, was etwa dem Ergebnis vor vier Jahren entspricht (25,7 Prozent). Das Ergebnis stellt eine deutliche Verbesserung gegenüber den Umfragewerten der Partei vor Martin Schulz‘ Ernennung zum Kanzlerkandidaten dar. Die Prognosen für Die Linke und Bündnis 90/Die Grünen liegen bei 9,2 bzw. 10,5 Prozent. Sollte es zu einer Fortsetzung der Großen Koalition kommen, wären die Grünen somit wieder stärkste Oppositionsfraktion. Unsere Prognose legt nahe, dass beide Parteien in den Umfragen derzeit unerwartet schlecht abschneiden, insbesondere die Grünen. Was das Wiedererstarken der FDP betrifft, bestätigt unsere Prognose die aktuellen Umfragen. Die Liberalen schaffen mit 8,7 Prozent locker den Wiedereinzug in den Bundestag.  

Prognose der Bundestagswahl 2017 nach Parteien

(Tabelle 1)

Eine offensichtliche Schwachstelle unseres Modells ist, dass wir den erwarteten Stimmanteil der AfD nicht so präzise prognostizieren können wie den anderer Parteien mit längerer Historie. Allerdings bildet unsere Prognosen für die Kategorie „Sonstige“ den Erfolg der AfD ab, wie beispielsweise in den landespezifischen Prognosen für Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt zu sehen ist (Tabelle 2). Hier schnitt die AfD auch in den Landtagswahlen besonders stark ab. Betrachtet man die aktuellen Umfragewerte, so liegt der Anteil der sonstigen Parteien, das sind nach unserer Definition die AfD und kleine Gruppierungen, die die Fünf-Prozent-Hürde nicht überspringen werden, bei insgesamt etwa 12 Prozent. Die AfD steht in aktuellen Umfragen bei etwa 8 Prozent, was Zweidrittel des auf die sonstigen Parteien entfallenden Stimmenanteils entspricht. In Ermangelung tatsächlicher Wahlergebnisse leiten wir daraus ab, dass die AfD einen Stimmanteil zwischen 7 und 9 Prozent erzielen wird.

Welche Koalitionen wären basierend auf unserer Prognose also denkbar? Die Fortsetzung der Großen Koalition wäre natürlich weiterhin möglich. Viele andere Möglichkeiten gibt es diesmal nicht: Gehen wir davon aus, dass die AfD zwischen 7 und 9 Prozent enthält, so entfallen maximal 6 Prozent auf sonstige Parteien, deutlich weniger als noch 2013. Damit müsste 2017 der Stimmanteil einer Koalition näher an 50 Prozent liegen als vor vier Jahren, um eine parlamentarische Mehrheit zu erringen. Als weitere realistische Koalitionsoption käme damit nur noch die sogenannte Jamaika-Koalition aus CDU/CSU, FDP und Grünen in Frage. Schwarz-Gelb und Rot-Rot-Grün hingegen liegen in unserer Prognose etwa gleich auf und können nicht mit einer parlamentarischen Mehrheit rechnen.

(Abbildung 2)

Zur Methode

Soweit uns bekannt ist, ist unsere Methode die bislang einzige, die auf Daten der Landesebene beruht. Auf Umfragen verzichtet unser Modell fast vollständig. Denn Landtagswahlen spiegeln im Gegensatz zur Momentaufnahme der Meinungsumfrage das tatsächliche, nicht das hypothetische Wahlverhalten von Befragten wider. Wir verwenden neben anderen Kovariaten Resultate von Landtagswahlen, um damit ein Modell zur Vorhersage der Bundestagswahlergebnisse der Parteien in jedem der Bundesländer bei allen nationalen Wahlen seit 1961 zu schätzen. Anschließend rechnen wir den prognostizierten Stimmenanteil auf Landesebene unter Berücksichtigung der erwarteten Wahlbeteiligung in absolute Stimmen um und aggregieren diese auf die Bundesebene hoch. Um die Unsicherheit einzubeziehen, die mit den Schätzungen der Stimmenanteile und der Wahlbeteiligung einhergeht, simulieren wir eine Vielzahl von Vorhersagen ,und berechnen auf Basis der simulierten Ergebnisse, 95-prozentige Prognoseintervalle (die Werte in eckigen Klammern in Tabelle 1).

Unser Vorgehen hat den Vorteil, dass Landtagswahlen im Gegensatz zu flüchtigen Meinungsumfragen das tatsächliche anstelle des hypothetische Wahlverhaltens von Befragten widerspiegeln. Auf Umfragedaten verzichtet das Modell fast gänzlich. Aufgrund der unterschiedlichen Dauer der Legislaturperioden auf Bundes- und Landesebene und weil es insgesamt vier vorgezogene Bundestagswahlen gab, fand in einzelnen Bundesländern keine Landtagswahl zwischen zwei Bundestagswahlen statt. Falls entsprechende Daten verfügbar sind, rechnen wir für dieseFälle mit Umfrageresultaten, die auf Landesebene mindestens sechs Monate vor der jeweiligen Bundestagswahl erhoben wurden.

Prognose der Bundestagswahl 2017 auf Länderebene

(Tabelle 2)

Unsere Prognose wird vor dem 24. September nicht mehr angepasst und wird womöglich weiter von dem tatsächlichen Wahlergebnis abweichen als Umfragen, die kurz vor dem Wahltag durchgeführt werden. Das macht sie aber keineswegs wertlos. Da strukturelle Modelle wie unseres im Gegensatz zu Umfragen theoriebasiert sind und auf historischen Daten beruhen, erfüllen sie die wichtige Funktion, Erwartungen aufzustellen, mit denen die tatsächlichen Resultate verglichen werden können. Wir sagen voraus, wie durchschnittliche Kandidaten mit einer durchschnittlichen Kampagnen abschneiden würden. Somit setzt unser Modell einen Erwartungswert, vor dessen Hintergrund das Abschneiden der Parteien bewertet werden kann - sowohl für die Bundes- als auch die Landesebene. An diesem Maßstab können wir am Abend des 24. September erkennen, welche Parteien im Wahlkampf wirkungsvoll Akzente gesetzt und ihr Wählerpotenzial erfolgreich mobilisiert haben und welche nicht. Man darf gespannt sein. 

Prof. Mark Kayser, PhD, ist Professor of Applied Methods and Comparative Politics an der Hertie School.

Arndt Leininger, PhD, hat 2017 seine Promotion an der Hertie School abgeschlossen und ist jetzt wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität Mainz. 

Über Mark Kayser

  • Mark Kayser, Professor of Applied Methods and Comparative Politics