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Jugendstudie: “Die Politik ist gefragt!”

Die Politik sollte jetzt die Weichen stellen, um die junge Generation vor Altersarmut zu schützen: Darin sind sich der Sozialwissenschaftler Prof. Dr. Klaus Hurrelmann und der Ökonom Prof. Dr. Christian Traxler einig. Beide sind Mitherausgeber der MetallRente-Studie.

Welche Ergebnisse haben Sie am meisten erstaunt?

Traxler: Auch 15 Jahre nach der Rentenreform hat sich noch keine Kultur zusätzlicher Vorsorge in Deutschland entwickelt. Das Gegenteil ist der Fall: Die Tendenz geht bei der jungen Generation sogar in die entgegengesetzte Richtung.

Hurrelmann: Dem stimme ich zu. Doch zugleich erstaunt mich der Realitätssinn der jungen Leute. Es ist ihnen klar, dass die aktuellen Vorsorge-Angebote  kein angemessenes Leben im Alter sicherstellen.

Welche Erklärung haben Sie für das Vorsorgeverhalten der jungen Generation?

Traxler: Die jungen Leute sind mit der Altersvorsorge überfordert. Das hängt sicher mit der Tatsache zusammen, dass diese Entscheidungen äußerst komplex sind … zumal sich die Jugendlichen einer schwer vorhersehbaren Zukunft gegenübersehen. Zugleich zeigt sich eine starke Gegenwartsfixierung. Junge Menschen sind vor allem mit der unmittelbaren Erfüllung akuter Bedürfnisse beschäftigt.

Hurrelmann: Diese Gegenwartsbezogenheit ist absolut nachvollziehbar. Denn die jungen Leute entscheiden sich für Dinge, die ihnen aktuell von Nutzen sind und nicht für etwas, von dem sie nicht wissen, ob es ihnen später tatsächlich hilfreich sein wird. Die Jugendlichen sparen aber nicht nur für den Konsum, sondern auch für Studium und Ausbildung. Ihnen ist klar, dass Bildung Vorteile am Arbeitsmarkt bringt und das Armutsrisiko senkt.

Auf der Webseite der MetallRente finden Sie mehr Details: https://www.metallrente.de/jugendstudie/

Die Studie belegt, dass die Generation Y in Sachen Altersvorsorge der Politik mehr Vertrauen entgegenbringt als privaten Akteuren. Was sind Ihrer Meinung nach die Gründe dafür?

Hurrelmann: Aus der Kenntnis der letzten Wirtschafts- und Finanzkrisen wissen die jungen Leute, wie unzuverlässig private Vorsorgeprodukte sind. Deshalb ist es eine ganz nüchterne und unideologische Erwägung, dass der Staat eher das Gemeinwohl im Sinne hat als Unternehmen.

Traxler: Die Skandale und Krisen der letzten Jahre haben dazu geführt, dass Banken und Versicherungen stark an Glaubwürdigkeit verloren haben. Dagegen ist das Image der Politik vergleichsweise stabil. Die Skandale dort haben die Gesellschaft bei weitem nicht so erschüttert wie etwa die Finanz- und Wirtschaftskrisen.

Wie deuten Sie die Zustimmung der jungen Leute zu einer automatischen Sparregelung?

Traxler: Die beinahe einhellige Zustimmung zu einer automatischen Default-Sparregel fand ich sehr überraschend. Es scheint so, als wünschen sich Jugendliche einen Automatismus, der ihnen eigenständige Entscheidungen zumindest teilweise abnimmt. Zu dieser Interpretation passt auch, dass das Meinungsbild zu Nudging differenziert ist. So lehnen die Befragten eine personalisierte Erinnerung an selbst gesetzte Sparziele ab. Sie wollen allem Anschein nach mit dem Thema nicht regelmäßig konfrontiert werden.

Hurrelmann: Hier wird die sehr pragmatische Einstellung der Generation Y sichtbar. Sie befürworten den sanften Paternalismus … aber nicht in jeder Form: So begrüßen sie einen Automatismus, jedoch nicht die Aufforderung zur Eigeninitiative.

Was wird passieren, wenn es zeitnah keine weiteren Reformschritte bei der Altersvorsorge gibt?

Traxler: Ich bin mir sicher, dass sich der aktuelle Trend in der Zukunft fortsetzen wird und bei Jugendlichen die Aktivitäten für ihre Altersvorsorge nicht sprunghaft steigen werden. Damit steigt die Gefahr der Altersarmut. Allerdings ist diese Generation noch so weit von der Rente entfernt, dass sie auf die Politik in dieser Sache zurzeit noch kaum Druck ausübt.

Hurrelmann: Die Politik muss jetzt trotzdem handeln. Denn sonst ist es für die junge Generation zu spät. Dann ist sie objektiv von Altersarmut bedroht.  Das  ist  keine Schwarzmalerei, sondern einfach eine Tatsache.

Welche Tipps geben Sie jungen Menschen, damit ihre Aussichten auf finanzielle Sicherheit im Alter steigen?

Traxler: Sie sollten sich eigenständig mit Finanz- und Kapitalmärkten beschäftigen. Ein Schulfach wie „Wirtschaft und Finanzen“ könnte sie hierbei unterstützen. Erspartes in breit diversifizierte, passive Indexfonds anzulegen, würde z. B. langfristig Sinn machen. Grundsätzlich bin ich aber pessimistisch, dass sich die breite Masse eigenständig um Altersvorsorge kümmert. Hier ist eindeutig die Politik gefordert.

Hurrelmann: Und damit die Politik sich bewegt, müssten sich die jungen Leute  selbst politisch engagieren und ihre Vorstellungen offensiv vortragen. So wie heute kann  es jedenfalls nicht weitergehen. Denn selbst, wenn jemand vorbildlich in alle drei Säulen der Altersvorsorge einzahlt, kann er am Ende nicht mit einem  zufriedenstellenden Ergebnis rechnen. Das System führt die jungen Leute an der Nase herum.

Begriffserklärungen

Nudging/Nudge: Die Begriffe stehen im englischen für Stupsen/Schupsen oder Stups/Schubs.Darunter versteht man im Zusammenhang mit der Altersvorsorge einen wirksamen Stupser hin zur vermehrten Teilnahme an zusätzlicher – meist betrieblicher – Altersversorgung.

„Sanfter“ Paternalismus: Da der Stupser zwar in die gewünschte Richtung weist, aber zu nichts verpflichtet, spricht man von einem „sanften“ Paternalismus. Schließlich bleibt die individuelle Entscheidungsfreiheit unangetastet.

Default-Sparregel: Bei dieser Altersvorsorge zahlen die Beschäftigten automatisch („per default“) auf ein Rentenkonto ein … es sei denn, sie entscheiden sich bewusst dagegen (per „Opt Out“).

Das Interview führte die MetallRente. Auf der Webseite der Organisation finden Sie mehr Details zur Studie.

Über Klaus Hurrelmann und Christian Traxler:

  • Klaus Hurrelmann ist Professor of Public Health and Education an der Hertie School of Governance. Sein Forschungsinteresse gilt dem Bereich Gesundheits- und Bildungspolitik.

  • Cristian Traxler ist Professor of Economics an der Hertie School. In seiner Forschung untersucht er mit den Methoden der Politikanalyse volkswirtschaftliche und verhaltensökonomische Fragestellungen mit dem Schwerpunkt Steuervermeidung und Steuervollzug.